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Wer liegt denn da so traurig am Wegesrand?

Bruno schlurft von einem Wald zum anderen. Sein sonst so flauschiges Fell hängt triefend nass an ihm herunter. Warum bilden die Bäume über ihm nicht schon ein dichtes Blätterdach? Letztes Jahr um diese Zeit waren sie doch auch schon so weit.

 

Linke Tatze vor, Kopf nach rechts. Rechte Tatze vor, Kopf nach links. Rechts. Links. Rechts. Traurig. Links. Traurig? Wie angewurzelt bleibt Bruno stehen, die rechte Tatze hängt noch mitten in der Luft. Seine Augen rollen fragend von links nach rechts und wieder zurück. Wirklich traurig? Im Zeitlupentempo setzt er seine Tatze ab und dreht seinen Kopf wieder nach rechts. Traurig. Zwei Pünktchenaugen. Zwei herabhängende Mundwinkel. Es schaut ihn tatsächlich ein trauriges Gesicht an. Aber warum?

 

stein traurig am wegesrand zwischen laub des vorjahres

Bruno schaut sich das Gesicht von allen Seiten an. Keine Regung. Vorsichtig beschnuppert er es. Doch außer modriger Erde ist nichts zu riechen. Noch einmal links um das Gesicht herumgeschaut und einmal rechts herum. Nichts Ungewöhnliches. Nur trockene, braune Blätter vom letzten Herbst.

 

Ganz vorsichtig stupst er mit seiner Nase seitlich gegen das Gesicht. Nichts bewegt sich. Bruno probiert es ein wenig fester. Es bleibt traurig starr. Stattdessen schnauft er beim Ausatmen ein altes Blatt bei Seite. Zum Vorschein kommt ein zartes grünes Pflänzchen.

 

„Hmm“, überlegt Bruno, „wenn sich das Gesicht nicht bewegen lässt, kann ich ihm ja die Aussicht verschönern.“

 

Bruno holt tief Luft und pustet, so doll er kann. Im Nu steckt seine Schnauze in einer dichten Blatt- und Staubwolke. Die Augen kann er gerade noch rechtzeitig schließen, bevor winzige Staubkörner hinein fliegen. Doch haben die sich in der Zwischenzeit einen andren Weg gesucht: direkt in Brunos Schnauze.

 

„Hust ... röchel ... hust“

 

Bruno taumelt eine Bärenlänge zurück, stolpert über eine Wurzel und landet auf seinem Allerwertesten.

 

„Bäh!“

 

Langsam legt sich die Staubwolke. Er spuckt die Reste eines alten Blattes aus. Das Gesicht schaut unbeirrt mit zwei hängenden Mundwinkeln zu Bruno hinüber. Doch um ihm herum zeigen sich unzählige zarte Pflänzchen, die sich freudestrahlend im lauen Lüftchen von links nach rechts wiegen. Endlich können sie sich ausbreiten. Endlich können sie sich bewegen. Endlich sind sie frei!

 

„Pah, dann bleib du doch traurig“, ruft Bruno dem Gesicht zu. „Ich freu mich!“

 

 

Froh über seine gute Tat, springt Bruno auf, zieht seine Mundwinkeln hoch nach oben und setzt seinen Spaziergang fort.


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